1. Reise

Hier ist ein Bericht unserer im September-Verreisten über ihre Erfahrungen in einer Schule in Challia:

Englischunterricht in der Horst Spingies Schule

Die Horst Spingies Schule ist eine kirchliche Schule in Challia, die seit 1947 existiert. Sie ist benannt nach dem ersten deutschen Missionar in Challia Horst Spingies. Damit ein Kind diese Schule besuchen kann, muss ein Schulgeld gezahlt werden.
Im Zuge einer Unterrichtshospitation in einer 10. und einer 11. Klasse während unserer ersten Tage in Challia stellten wir fest, dass etwa 100 Schüler und Schülerinnen in einer Klasse sind. Es findet absoluter Frontalunterricht statt und nur wenige Schüler beteiligen sich aktiv. Der Unterricht findet ab der 8. Klasse auf Englisch statt.

Seit einigen Jahren findet eine Summerschool an der Horst Spingies Schule statt, die von deutschen Studierenden unterstützt wird.
Wir wollten die Arbeit von Annabell Gietz fortführen, die im Sommer 2010 zusammen mit einheimischen Personen diese vierwöchige Summerschool mit 60 Mädchen in der Horst Spingies Schule durchgeführt haben. Die Mädchen waren zwischen 16 und 18 Jahre alt und besuchten die 10. Klasse. Uns war es leider nicht möglich, im Vorfeld der Reise genauere Information  über das Sprachniveau unserer zukünftigen Schülerinnen zu erfahren, so dass trotz guter Vorbereitung unser Improvisationstalent gefragt war.
Leider war es uns ebenfalls erst vor Ort möglich, die Termine für den Unterricht abzusprechen. Unser ursprünglicher Plan, die Schule zwei- bis dreimal pro Woche am Nachmittag nach dem eigentlichen Schulunterricht stattfinden zu lassen, ließ sich nicht realisieren, da einige Schülerinnen einen sehr langen Heimweg vor sich haben und darüber hinaus auch noch zu Hause im Haushalt mithelfen müssen. So entstand in Absprache mit dem Direktor der Schule das Vorhaben Samstag Vormittags zu unterrichten.

Die erste Unterrichtseinheit haben wir (Insa und Dana) mit der gesamten Gruppe von 45 Mädchen durchgeführt. Die starre Sitzordnung im Klassenraum haben wir aufgelöst und die Tischreihen durch einen Kreis ersetzt, so dass sich alle Schülerinnen ansehen konnten. Zunächst wurde ein Kennenlernspiel durchgeführt, das zum Ziel hatte, etwas lockerer zu werden, sich zu bewegen und mit uns in Kontakt zu kommen. Anschließend wurde eine Leseübung gemacht, bei der abwechselnd jede Schülerin drei bis vier Sätze aus dem Schulbuch vorlesen sollte. Da die Schüler nicht über eigene Schulbücher verfügen, haben wir vorher Englischbücher aus der Schulbücherei besorgt und sie verteilt. Anschließend haben wir einige Vokabelspiele gemacht, wie beispielsweise Montagsmaler oder Scharade. Den Hauptteil unserer ersten Unterrichtseinheit hat das Vorbereiten eines Dialoges zum Thema „Krankenhaus“ in Anspruch genommen. Dazu haben wir wichtige Vokabeln und Phrasen im Zusammenhang mit „Krankenhaus“ und „Kranksein“ erarbeitet bzw. wiederholt und anschließend von uns vorbereitete Dialoge im Rollenspiel vorgelesen. Als Hausaufgabe sollten die Mädchen in Partnerarbeit eigene Dialoge kreieren.

Ab der zweiten Unterrichtseinheit haben wir die Gruppe geteilt, so dass Insa, Jette und Dana jeweils eine Klasse von etwa 15 Mädchen hatten. So war es möglich, den Unterricht noch individueller zu gestalten und noch besser auf die einzelnen Schülerinnen einzugehen. Der Unterrichtsinhalt war erneut geprägt von Leseübungen, Erarbeitung von neuem Vokabular, Spielen und Vorlesen von Dialogen in verteilten Rollen.

Die Mädchen waren anfangs etwas scheu und mussten zum Mitmachen und Englisch sprechen animiert werden. Im Laufe der Zeit legte sich das und wir hatten offene, interessierte und nette junge Frauen vor uns. Vermutlich haben wir das Englischniveau unserer Schülerinnen überschätzt, so dass sie nicht von allen Aufgaben und Übungen profitieren konnten. Da wir nun den Kenntnisstand der Mädchen besser einschätzen können, ist ein auf sie zugeschnittener Unterricht möglich, wenn einige Teilnehmer der nächsten Projektgruppe in Challia unterrichten werden. Trotz unseres erst zu hohen Anspruches sahen wir viele positive Auswirkungen unseres Unterrichts auf die Mädchen. Für sie ist es eine gute Erfahrung in einer kleinen Klassenstärke unterrichtet zu werden und im Unterricht auch mal nur unter Mädchen zu sein, wo sie sich nicht den Jungs unterordnen müssen. Des weiteren haben sie für sie neue Unterrichtsformen, wie beispielsweise Gruppenarbeiten, kennen gelernt, bei denen sie lernen konnten, sich gegenseitig anzuhören und zu helfen.



Und weiter geht's mit einem Bericht über das Aira-Hospital:


Aira Hospital
Während unserer Zeit in Westäthiopien lebten wir in Challia, einer kleinen Stadt mit schätzungsweise 3000 Einwohnern. Bezüglich der Krankenversorgung befindet sich in Challia eine kleine Klinik, in der Patienten sowohl ambulant als auch stationär von Krankenschwestern und -pflegern behandelt werden. Komplizierte Eingriffe wie Operationen oder problematische Geburten werden im Aira Hospital durchgeführt. Aira ist eine größere Stadt im Westen Äthiopiens. Hier liegt das Krankenhaus, das ambulant und stationär täglich 200 bis 250 Patienten behandelt. Das Aira Hospital verfügt mittlerweile über 80 Betten. Organisiert von dem schwedischen Chirurg Dr. Erik Erichsen finden jährlich rund 3.000 Operationen und 1.200 Geburten statt.
Während unseres Aufenthaltes in Challia wanderten wir auch nach Aira. Die Wanderung durch die Wälder und durch die Natur war malerisch, auch wenn es teilweise geregnet hat. Viele Patienten müssen den Weg zum Aira Hospital ebenfalls zu Fuß zurücklegen, da in der Regenzeit häufig keine Autos fahren können oder sie nicht das Geld haben sich eine Autofahrt zu leisten. So werden die Patienten von der Familie und Freunden auf Bahren nach Aira getragen. Innerhalb der drei Tage, die wir dort zu Besuch waren, führte uns Dr. Erichsen, der im Aira Hospital schon seit vielen Jahren arbeitet und von den Entwicklungen sowie Problemen direkt betroffen ist, durch die verschiedenen Bereiche des Krankenhauses.
Es gibt eine Küche, in der für alle stationär aufgenommenen Patienten Essen zubereitet wird. Da bei den Patienten fast immer ein Familienmitglied für die persönliche Pflege anwesend ist, teilen sie sich das Essen. In der Wäscherei gibt es neuerdings eine strombetriebene Waschmaschine, die allerdings keineswegs dem europäischen Standard entspricht. Bevor es diese neue Waschmaschine gab, musste die Wäsche in einem mit offenem Feuer beheiztem Kessel ausgewaschen werden. Der Strom wird teilweise durch auf dem Dach angebrachte Solarzellen produziert.
Das Krankenhaus hat einen ambulanten Bereich, in dem die neuen Patienten von Krankenschwestern und -pflegern untersucht, behandelt und notfalls stationär aufgenommen werden. Der Wartebereich ist sehr groß und vor allem in der Trockenzeit herrscht hier großer Andrang. Der stationäre Bereich unterteilt sich in jeweils ein Männer-, Frauen- und Kinderbettenhaus. Hier liegen etwa jeweils acht Patienten in einem Raum. Zudem gibt es eine Intensivstation und einen „Kreissaal“. Auch wenn auf die hygienischen Bedingungen geachtet wird, kann man alle diese Bereiche nicht mit dem europäischen Standard vergleichen.
Das Krankenhaus hat zusätzlich eine Augenklinik, ein Labor und drei Operationssäle. Die Operationen werden von Dr. Erichsen und zwei äthiopischen Chirurgen durchgeführt. Wir bekamen die Möglichkeit, uns diese Säle näher anzuschauen. Es sind in Wirklichkeit nur zwei gut ausgestattete Säle und ein provisorisch eingerichteter Abschnitt auf dem Flur. Die wichtigen Geräte, wie beispielsweise Anästhesiegeräte wurden von privaten Sponsoren aus Europa finanziert. Es gab allerdings auch ein Gerät, das aufgrund von technischer Unangepasstheit mit den äthiopischen Bedingungen nicht benutzt werden konnte. Dies zeigt, dass man auch bei gut-gemeinten Spenden immer die dort vorhandene Situation und die dementsprechenden Möglichkeiten bedenken muss.
Dr. Erichsen erzählte uns, dass die meisten stationären Patienten aufgrund einer Operation im Krankenhaus sind. Die Operationen sind teilweise lebensnotwendig und teilweise als Wiedereingliederung in die Gesellschaft unablässig. Es werden viele überlebenswichtige Kaiserschnitte vorgenommen und Operationen nach Verbrennungen oder Stromschlägen. Die Krankheit namens Gaumen-Lippen-Spalte (im Volksmund auch Hasenscharte genannt) andererseits ist nicht notwendigerweise gesundheitsgefährdend, jedoch aufgrund des Aussehens eine Gefährdung für den Ausschluss aus der Gemeinschaft. Dank Dr. Erichsens Einsatz und Engagement können sich die Menschen mit der Gaumen-Lippen-Spalte sogar umsonst operieren lassen. Aira Hospital ist das einzige Krankenhaus in Äthiopien, in dem die mehrteilige Operation der Gaumen-Lippen-Spalte auch schon bei Säuglingen und Kleinkindern durchgeführt wird. In Addis Abeba, so erzählte uns Dr. Erichsen, werden diese Operationen erst bei Kindern ab 7 Jahren vorgenommen.
Es ist wichtig, dass die vorhandenen Finanzen, die in der Hand äthiopischer Krankenhausleiter liegen, vernünftig und auf das Wohlsein des Menschen bedacht eingesetzt werden. Wir haben festgestellt, dass eine sehr sinnvolle und auch lebenswichtige Einrichtung existiert: Der Armenfond. Aus diesem Fond wird die Behandlung von Patienten finanziert, die nicht selbst über das nötige Geld verfügen.




Neu! 28.05.2011 Challia Clinic

Anlässlich eines Vortrags im Weltladen im Zuge des Projekts „Über den Tellerand“, erzählten Dana und Jette von ihren Erfahrungen im Umgang mit Entwicklungshilfe in Westäthiopien. Dies erläuterten sie u.a. anhand der Clinic in Challia. Kliniken sind in Äthiopien Gesundheitsstationen, meist gibt es eine pro Dorf. Sie ähneln unseren Hausärzten, werden aber von Pflegern und Schwestern geleitet. In der Regel erhalten sie einmal pro Monat eine Medikamentenlieferung.
Nachdem ein persönlicher Kontakt hergestellt war und wir die Anlage besichtigt hatten, überlegten wir gemeinsam mit einer weiteren Studentin, die bereits vor Ort war, wie wir der Klinik aushelfen könnten. Reparaturen an Betten und Fenstern standen an und es wurden neue Kittel für die Angestellten und Schlafanzüge für die PatientInnen benötigt. So entstand die Idee, einen Freundeskreis aufzubauen, um die Klinik mit etwa 50 Euro pro Monat unterstützen zu können. Doch schon recht bald stellten sich mehrere organisatorische Schwierigkeiten heraus: Das Hauptproblem lag darin, dass es keine verantwortliche Person vor Ort gab, die Zeit und Mittel gehabt hätte, den Bedarf an Reparaturen oder Neuanschaffungen zu verzeichnen und an uns weiter zu leiten und die aktuelle Situation durch Fotos und Berichte zu dokumentieren. Doch für eine weitere Zusammenarbeit wäre das unweigerlich vonnöten gewesen. Das Problem setzt schon da an, dass nicht leicht herauszufinden ist, wer die Aufgabe tatsächlich verantwortungsvoll in die Hand nehmen und wer eher unseren guten Willen ausnutzen würde, um letztendlich in die eigene Tasche zu wirtschaften bzw. in sekundäre Projekte zu investieren (z.B. Prestigeprojekte wie eine Cafeteria).
Hinzu kamen interkulturelle Schwierigkeiten: Wir stellten fest, dass doch viele Äthiopier von uns Weißen bereits ein bestimmtes Bild hatten. So schien man uns beispielsweise für Alleswisser/ Alleskönner zu halten, da Äthiopier schnell in die Rolle des Beobachters traten und uns auf handwerklichem oder medizinischem Gebiet gewähren lassen wollten, als seien wir auch ohne Ausbildung kompetenter als sie. Oft erheben sie auch aus Höflichkeit keinen Einspruch, selbst wenn ihre gewohnten Methoden besser auf die dortigen Verhältnisse zugeschnitten sind, als die neuen Ideen der Besucher es wären. Immer wieder fanden wir uns in einer privilegierten Stellung: Das Klinikauto darf zum Beispiel in der Regenzeit nicht verwendet werden - außer für Weiße! Unter Äthiopiern dagegen wird keine Ausnahme gemacht, selbst wenn es sich um eine schwangere Frau handelt, die dringend ins 17 km entfernte Hospital eingeliefert werden müsste. Hinzu kommt die Vorstellung das Weiße ausnahms- und vielleicht sogar grenzenlos reich sind, so dass Einheimische immer versucht sind die Hand aufzuhalten, anstatt mit den eigenen Mitteln zu arbeiten. Doch damit steht man ihnen eigentlich im Weg, weil sofort bestimmte Denk- und Durchführungsprozesse, die ohne finanzielle Hilfe geschehen würden, nicht stattfinden. Zuletzt sind noch die unterschiedlichen Gewohnheiten im Bezug auf das Zeit/Nutzen-Verhältnis zu nennen. Der Drang, alles selbst in die Hand zu nehmen angesichts der langen Wege und Prozessdauer, war schwer zu bändigen. Der schwedische Chirurg Erik Erichsen des Aira Hospital erzählte uns auch mit Leidenschaft davon, wie wichtig es ist, warten zu können, bis die Äthiopier von selbst neue Ideen zur Verbesserung einer Situation entwickeln und umsetzen. Zitat Dr. Erik: „It took me two years of intense doing nothing before they learned to change this.“

In unserem Vorbereitungsseminar „Cross Culture“ haben für folgendes Bild besprochen:


In der Abbildung (1) sieht man den „Helfer“ der einen Menschen über den Fluss trägt, da dieser zu ängstlich ist sich selbst hinüber zu wagen. (2) Auf der Hälfte der Strecke kann er nicht mehr, will pausieren und setzt den Menschen ab. Dann geht er zurück, um den zweiten Mensch zu holen, der über den Fluss will. Diesem zeigt er aber dieses Mal, wie er allein hinüber kommt. (3) Am anderen Ufer angelangt, vergessen die beiden den Menschen, der am Anfang bis zur Flussmitte gtragen worden war.
Entwicklungshilfe muss nach dem Prinzip „Hilf mir, es selbst zu tun“ funktionieren, sonst sind die Menschen unfähig Neues fortzuführen, wenn die Entwicklungshelfer nicht mehr vor Ort sind.
Relativ schnell stellte sich heraus, dass ohne Kontaktpersonen, die kontinuierlich an der Sache dran bleiben, eine Unterstützung der Challia Clinic nicht möglich sein würde. Und umso mehr ermutigte es uns an den Projekten festzuhalten, die schon seit vielen Jahren im Westen Äthiopiens etabliert sind.

Von Jette Förster